Neulich beim Rollenspiel

Wissenschaftliches Tagebuch von Aiden Cottlestone, Amordi, 10. Secundus 1668

Nun, ich endete zuletzt mit der Gefahr für ganz Montaigne. Dies ist aber zu revidieren, wie mir scheint. Vielmehr scheint es um lebensbedrohliche Risiken für eine ganze Reihe hochgestellter montaignischer Persönlichkeiten zu gehen. Bei dem erwähnten Syrne-Artefakt handelt es sich nach den Worten des Comtes de la Roque um ein recht unscheinbares Kästchen aus den Materialien Holz und Metall unbekannter Art und Herkunft. Bei „richtiger“ Anwendung ist es möglich, binnen weniger Sekunden eine Botschaft von diesem Kästchen zu seinem Zwillling zu schicken, welches sich im Moment im Besitz eines Kapitäns befindet. Es handelt sich daher anscheinend um eine fortentwickelte, weil permanent verschlüssel- und anwendbare Form der Porté-Magie.

Eine faszinierende Vorstellung: Nachrichten in wenigen Augenblicken über größte Entfernungen, Grenzen und Hindernisse versenden zu können. Wie klein würde dies unsere Welt machen, wie sehr würde sie ihr Antlitz verändern, wie nahe könnten sich Menschen verschiedenster Herkunft und Kultur sein!

Nun, vorerst scheint es nur zwei Kästchen zu geben, von denen eines entwendet wurde. Der besagte Kapitän gehört zu einer mir weitestgehend unbekannten Gruppe von Persönlichkeiten – de la Roque und die mysteriöse Dame in der Kutsche sind hinzuzuzählen – welche gegen den ausdrücklichen Befehl der militärischen Führung (also wohl auch des Kaisers) Nahrungsmittel und Medikamente hin zu den in Castille befindlichen Truppen und der natürlich bitter leidenden, unschuldigen Zivilbevölkerung schmuggeln. Ein, zumindest bezüglich der einfachen Menschen lobenswerter Vorstoß, der in Avalon mit Sicherheit Respekt und Auszeichnungen zur Folge hätte, hierzulande aber mit dem Tode wegen Hochverrats gedankt wird.

Da das zuletzt erhaltene Schreiben noch in dem Kästchen befindlich war, wussten die Feinde der „Schmuggler reinen Gewissens“ nun, wo dass Schiff vor Anker gehen und Waren aufnehmen sollte. Auch war es möglich, dass sie den Mittelsmann der Unternehmung, den in Crieux ansässigen Händler Pétard, identifizieren konnten. Das konnten sie allerdings!

Der Comte bat nun Gregor, Grégoire und meine Person um Hilfe, da er sich in dieser pikanten Angelegenheit nicht an die Musketiere wenden konnte. Während Grégoire sich sofort zur Hilfe anbot – scheinbar ist dies selbstverständliche Sitte in Montaigne – kostete es mich einige Überredungskunst, den Ussurer (und vor allem seine Axt) zur Teilnahme an der gefährlichen Mission zu bewegen. Das meine Beweggründe weniger in der Treue zum Comte de la Roque und seinen Mitwissern oder der Liebe zu den Soldaten liegen, ist offensichtlich. Jedoch wurde mir vom Comte zugesichert, dass ich das wiederbeschaffte Kästchen im Detail untersuchen werde dürfen. Zwar erschien er ob der von mir angedachten Veröffentlichung dieser Untersuchung nicht eben begeistert, aber es wäre wahrlich das erste Mal, dass sich Montaigner für ein in Avalon erschienenes wissenschaftliches Werk interessierten! Wissen voran, kein Standesdünkel kann das Licht der Erkenntnis aufhalten!

Nach der Aushändigung einer beträchtlichen Geldsumme zur Deckung möglicher Unkosten während der Reise nach Crieux, die wir so schnell als möglich anzutreten hatten (denn noch war der Vorsprung des unbekannten Gegners nicht allzu groß) machten wir uns mit frischen Pferden auf den Weg gen Norden.

Die Reise verlief ereignislos, bis wir kurz vor Crieux am Veldiabend in das letzte Wirtshaus vor der Stadt einkehrten. Dort befand sich eine übel riechende Horde angeblich auf dem Heimweg befindlicher Soldaten, mit denen Grégoire direkt ins Spiel einstieg. Hätte er dies doch nur gelassen, denn vom Tisch der Musketenträger aus hatte er ein blondes Weibsbild erspäht, zu dem er sich gesellte. Nach einer Flasche Wein musste er ebenso wie Gregor – der übrigens sehr seltsame Ansichten hinsichtlich der Komplexität menschlichen Lebens hat – und ich entdecken, dass es sich um eine Falle gehandelt hat.

Die Frau (ein Mitglied der Schwertmeistergilde) sprach ein Duell aus und durchbohrte ihn mit ihrem Degen. Als wir zur Hilfe eilten, griffen die Soldaten uns an. Zwar konnten wir die Auseinandersetzung siegreich gestalten, doch gelang es mir nicht, das Weib zu erhaschen, ehe sie auf einem Ross davon stob. In aller Eile „liehen“ wir uns eine Kutsche (Grégoire konnte nicht mehr laufen) und folgten der Schwertmeisterin unverzüglich nach Crieux, denn sie hatte in ihrem Übermut verraten, dass der Händler Pétard noch am nächsten Tage, genau zu dem Zeitpunkt, an dem ich diese Zeilen schreibe, hängen sollte.

Das konnten wir natürlich nicht zulassen und so erarbeitete ich einen Plan, um in die Kommandantur – wo er festgehalten wurde – einzudringen und ihn unbeobachtet zu befreien. Dieser Plan sollte uns über das Dach hinein- und auch wieder herausführen. Schade nur, dass sich Grégoire nicht sonderlich geschickt beim Klettern angestellt hat, wir von Soldaten (und einigem Volk, das sich bereits zur Hinrichtung sammelte) gesehen und unter Feuer genommen wurden.

Da bereits Alarm ausgerufen und die Glocke geläutet wurde nutzte uns nur noch ein großer Ablenkungsmanöver: Ich entschloss mich dazu, in der Kommandantur Feuer zu legen und die Soldaten zu umrunden. Es waren zu diesem Zeitpunkt kaum Menschen darinnen, schon gar keine Nicht-Soldaten und es war helllichter Tag – das Risiko erschien mir also vertretbar. Tatsächlich war dieses Vorgehen von Erfolg gekrönt und wir konnten uns in den Kerker einschleichen. Sicherlich auch deshalb, weil wir beim Feuerlegen montaignische Offiziersröcke gefunden hatten und nun anstelle unserer üblichen Kleidung trugen.

Die Kerkerwachen wurden von den Gregs niedergemacht. Dennoch verlief die Flucht anders als geplant, denn während ich den Ausgang zur Kanalisation gefunden hatte, nahte von draußen die bekannte Schwertmeisterin mit einer Reihe Wachen um Pétard, ungeachtet des Feuers und dem damit einhergehenden Risiko für Soldaten und Zivilisten auf dem Marktplatz, Hängen oder direkt Totschießen zu lassen.

Wir verriegelten die Kerkertür und flohen hinab ins übelriechende Dunkel, doch mithilfe ihres Schießpulvers kamen uns die Soldaten hinterher. Ich hieß Gregor an, mittels einer Finte die Wachen auf eine falsche Fährte zu locken, damit ich mit dem verletzten Grégoire und dem geschwächten Monsieur Pétard einen Vorsprung herauslaufen könnte. Dies gelang jedoch nur zum Teil und so musste ich ein Teil des dreckigen Mörderhandwerks selbst verrichten, um die Leben vieler anderer zu retten. Theus vergebe mir meine Sünden.

Nachdem uns Monsieur Pétard zu einem abgelegenen Ende der Kanalisation und von dort in ein Wäldchen außer Sicht der Stadtmauern geführt hatte, ließen wir uns ermattet nieder. Und hier befinde ich mich nun: Gekleidet in einen montaignischen Offiziersrock, der mit allerlei Unrat und Blut beschmiert ist, mit nassen Stiefeln und ohne Pferd vor den Toren der Stadt Crieux. Diese Expedition wird zweifelsohne zusehends komplexer.


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Homepage Stefan Bohnsack, 2008