Neulich beim Rollenspiel

Wissenschaftliches Tagebuch von Aiden Cottlestone, 19. Tertius 1668

Mit knapper Not sind wir vor wenigen Tagen aus der Vaticinstadt entkommen, wo wir Jésus vorm Scheiterhaufen gerettet hatten. Geradezu waghalsig war unsere Flucht auf eben jenem Kutschwagen, der den armen Sünder - wie die Vaticiner sagen - zum Tor ins Himmelreich karren sollte. Das fahrende Volk war uns erneut eine große Hilfe auf unserem geheimen Weg gen Südwesten. Sie versteckten uns in ihren bunten Wagen, teilten ihr Brot mit uns und versorgten die Wunden meiner unglücklichen Begleiter. Um meine und Lydias Schrammen kümmerte ich mich natürlich selbst. Da ich - und damit wir alle - in der Schuld der Gruppe um Bresnik standen, erklärten wir uns bereit, die Wagen bis zum Landgut Don Aldanas zu begleiten, wo wir erfahren sollten, mit welchem Gefallen wir uns revanchieren könnten. Am 15. Tertius kamen wir auf der Hazienda an und wurden sowohl vom Don als auch der Donna - eine Tochter des montaignischen Empereurs aus erster Ehe - höflich und gastfreundlich begrüßt.

Unsere Gastgeber zeigten sich hochinteressiert an meinen interessanten Ausführungen über die Flora und Fauna des Lockhornwaldes sowie des nördlichen Castilles. Ich vermochte mit dem einen oder anderen Vorurteil aufzuräumen und das Licht der modernen Wissenschaft in einem - zugegeben in den höheren Schichten äußerst zivilisierten - Land, auf dem der dunkle Schatten der Inquisition liegt, ein wenig heller leuchten zu lassen.

Des Nächtens wurde ich zu meiner Überraschung von der Donna zu einer privaten Audienz gebeten, in der sie mir eröffnete, dass es sich bei Lydia mit einiger Wahrscheinlichkeit um ihre leibliche Schwester handeln könnte. Ich halte dies durchaus für eine gewagte These, aber erstens widerspricht man jemandem wie der Donna in solcher Angelegenheit nicht und zweitens könnte es sich für Lydia gar nicht besser fügen. Ich gab mein Versprechen, sie heil und unversehrt zum Comte de la Roque nach Charouse zu eskortieren. Gleiches gilt für Sébastien de Garrault, einen Leibwächter der Donna, der sich uns nun zwangsläufig angeschlossen hat. Nicht, dass ich nicht selbst auf Lydia achtgeben könnte, aber ein weiterer Degen an unserer Seite ist nicht zu verachten. Zunächst jedoch gilt es weiterhin, das Kästchen von Kapitän Isabelle zu besorgen.

Wobei ich die Gegenleistung für die vom fahrenden Volk geleistete Unterstützung vergesse! Wir wurden vom alten Don Aldana zurück nach Vaticinstadt gesandt, um uns mit seinem Sohn, Don Andrés de Aldana, im Palast zu treffen. Hier entstehen auch diese bescheidenen Zeilen. Don Andres hat uns soeben über eine mögliche Verschwörung gegen den König unterrichtet und uns beauftragt, uns unauffällig am Hofe umzuhören. Als Ausländer im Hofstaat der Aldanas fallen wir angeblich nicht auf und können die zahlreichen, in der jüngeren Vergangenheit am Hofe aufgetauchten Bediensteten in Augenschein nehmen.

Nun gut, so sei es. Ich verhehle aber nicht, dass ich lieber bereits auf dem Weg zur Küste wäre, um mich von dort mit Isabelles Brigg gen Montaigne einzuschiffen, Lydia beim Comte ein neues Heim zu schaffen und dann endlich das Wagnis Eisen auf mich zu nehmen. Ich rechne allerdings mit mindestens zwei Wochen, die wir am Hofe verbringen werden - es sei denn, Gregor ließe frühzeitig seine Fäuste sprechen. Wir werden sehen...


Sprüche und Übersicht unserer Rollenspiel-Runden
Homepage Stefan Bohnsack, 2008