Neulich beim Rollenspiel

Wissenschaftliches Tagebuch von Aiden Cottlestone, 22. Julius 1668

Nachdem sich der Schlachtenlärm gelegt hatte, machte ich mich in Begleitung meiner Reisegesellschaft auf, um im ehemaligen Kontor von Farnsworth & Lancaster nach Lucy zu suchen. Um bei der Wahrheit zu bleiben, auch wenn sie späteren Generationen schamhaft erscheinen mag, heißt zumindest für Gregor und Irillia "suchen" nichts anderes als "bis auf den letzten Winkel ausplündern".

Immerhin besann Ersterer sich eines Besseren, als ich darauf hinwies, dass es nicht nur um Farnsworth Besitz, sondern auch das Hab und Gut von Lucys Familie ginge. Irillia dagegen ließ sich nur mit der kalten Androhung von Gewalt durch meiner Säbelspitze vom Diebstahl abhalten. Ich verstehe nicht, wie man vor lauter Langeweile aus einem Leben voller Luxus ausbrechen kann, nur um dann in der Fremde alles, aber tatsächlich ALLES daran zu setzen, im Luxus zu leben. Wäre man dann nicht besser einfach daheim geblieben (auch wenn daheim "Vodacce" bedeutet)?

Die Wertgegenstände im Kontor habe ich jedenfalls vollständig katalogisiert, oder zumindest hoffe ich auf Vollständigkeit, angesichts der teils niedrigen ethischen Grundsätze meiner Begleiter. Allerdings musste ich der Vereinbarung zustimmen, dass die Hälfte der gefunden Werte zum Wiederaufbau San Eliseos verwendet wird und lediglich die andere Hälfte an Lucy fällt. Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe nichts dagegen, dass den armen Menschen in der Stadt geholfen wird - nur muss Lucy nicht das größere Leid ertragen? Schließlich wurde sie auf einem Karren von Farnsworth und Legions Konkubinen entführt. Ich rechne mit dem Schlimmsten, denn das Farnsworth gewissenlos über Leichen geht, sollte jedem objektiven Betrachter - und Leser dieser Aufzeichnungen - mittlerweile klar geworden sein.

Nachdem wir das Gold und Geld bei Jesús' mysteriösem Priesterfreund sicher eingelagert hatten - lediglich ihren ehemaligen Familienschmuck wollte Miss de la Forza bei sich tragen - konnten wir uns endlich an die Verfolgung unserer Feinde und damit in die Sierra in die Gegend von Los Nublados aufmachen. Dank der Karte der kleinen Olivia Ruiz, Alleinerbin des Ketzers Don Iago, wissen wir, welchen Weg wir zum Artefakt des Heiligen Rosa nehmen müssen. Mein Bauch warnt mich jedoch, dass wir es sowohl mit dem Feuerteufel Iago sowie Farnsworth und "Giulia" als auch mit den rätselhaften weißen Todesengeln (wie Jesús sie wohl nennen würde, wenn niemand von uns zuhörte) zu tun bekommen werden.

Dies stellt mich vor eine schwierige Aufgabe: Einerseits ist die Sicherstellung des Artefaktes - ich vermute einen Schild oder einen Helm, vielleicht auch Rosas Panier - von höchster Bedeutung für die Wissenschaft, andererseits gilt, es Lucy unbeschadet zu befreien. Beides kann eigentlich nur von meiner Person geleistet werden. Doch wem soll ich die Bergung der Insignie des alten Ritters anvertrauen: Einem fanatischen Vaticiner, der sie am liebsten vor König Ohneeinfluss ausbreiten würde? Einem selbstverliebten Montaigner, der sie der nächstbesten Rittmeisterin achtlos als Beweis seiner Ergebenheit überreichen könnte? Einem verhinderten Admiral zur See, dem sie in Bernstein gegossen in der Messe seines Flaggschiffs am besten gefiele? Oder vielleicht doch einer Elster aus dem Süden, die mir sofort nach der Übergabe lächelnd ins Gesicht verspräche, sie nie gesehen zu haben? Schöne Aussichten.

Zu den aktuellen Ereignissen, die meine Stimmung weiter haben sinken lassen: Wir haben eher durch Zufall als durch Planung die liebreizende Dona Fabiana vor einem Überfall übler Straßenräuber bewahrt und genötigt, pünktlich zum Exektuionstag ihres dekadenten und verräterischen Vaters unser Lager zu teilen. Wir sind in diesem Fall Grégoire und Gregor, der angesichts des kleinen Prinzesschens direkt die Unterschiede zwischen seinem hochadligem Geblüt und meiner niederen, geradezu beleidigend bürgerlichen Herkunft meinte betonen zu müssen.

Damit nicht genug, bekam ich eine recht deutliche Ansage seitens der Dienerin der Dona, diese nicht mit ihrem Vater gemein zu setzen. Ich weiß nicht, für welche Geheimorganisation diese Carmencita arbeitet, aber sie ist sicher nicht zum Puderdöschenhalten im Gefolge Fabianas!

Mit all dem könnte ich letztlich gut leben, wenn wir die Dona nicht durch die Garstigkeit der Dienerin, verbunden mit der Vogelwildheit meiner Kumpane viele Meilen von unserem Weg ab zur nächsten Hazienda bringen würden. San Rosa? Lucy? Völlig egal, es geht ja um ein adliges kleines Frauenzimmerchen in schlimmer Not. In diesem Falle vergessen wir doch einfach alles, was uns wichtig ist und gaffen ein bisschen ihren Ebenholzlöckchen hinterher...

Eine Entdeckung haben wir aber im Kontor gemacht, die es wert ist, an die Augen der Welt zu gelangen! Ein syrnethisches Artefakt, welches seinem Träger erlaubt, unter Wasser zu atmen, was Gregor und ich im Fluss ausprobiert haben und deshalb bestätigen können. Bisher hat es Farnsworth für seine dunklen Zwecke gedient, vielleicht kann es uns nun helfen, seinen erbarmungslosen Hass auf ihn selbst zu reflektieren. Das geschähe ihm recht. Mehr in meinem nächsten Eintrag.


Sprüche und Übersicht unserer Rollenspiel-Runden
Homepage Stefan Bohnsack, 2008